Oskar Sala – Ein Gespräch aus dem Jahre 1989

(Gespräch vom 1. September 1989)

Oskar Sala, 18.7.1910 (Greiz, Thüringen) – 26.2.2002 (Berlin), studierte ab 1929 an der Hochschule für Musik Komposition bei Paul Hindemith. Über ihn lernte Sala an der Rundfunkversuchsstelle der Hochschule den Ingenieur Friedrich Trautwein kennen, der zu dieser Zeit das Trautonium, eines der frühesten elektronischen Musikinstrumente, entwickelte. Er spezialisierte sich in den folgenden Jahren auf das Spiel und Weiterentwicklung des Trautoniums. 1932-36 studierte er Physik an der Universität Berlin. 1934/35 entstand das Rundfunktrautonium, auf dem Sala im Deutschlandsender eine eigene Sendereihe Musik auf dem Trautonium produzierte, 1937/38 entstand das transportable Konzerttrautonium, mit dem er in ganz Europa auftrat. 1949-52 entwickelte er das Mixturtrautonium, mit dem in Rundfunksendungen und Konzerten öffentlich auftrat. Ab 1958 arbeitete er fast ausschließlich in seinem eigenen Studio in Berlin und schuf die Klangkulissen für über 400 teilweise preisgekrönte Spiel-, Kultur- und Industriefilme. Seit 1988 trat er mit dem von der Fachhochschule der Deutschen Bundespost in Berlin für ihn entwickelten Mixturtrautonium nach Oskar Sala wieder öffentlich auf. Bis zu seinem Tod blieb er der einzige Spieler des Trautoniums.

Im Sommer 1989 reifte der Plan, anlässlich der Funkausstellung in Berlin ein Interview mit Oskar Sala zu führen und ihn in seinem Studio zu besuchen. Das Gespräch sollte für eine Rundfunksendung verwendet werden, die jedoch nie zustande kam. Seine Antwort auf meinen Brief, der Anfrage nach einem Interview, dauerte zwar ein paar Wochen, war jedoch umso überraschender:

»… die Verzögerung meiner Antwort führen Sie bitte zurück auf meinen Studioumzug … und meinen Aufenthalt in Bourges bei Synthèse ((Ein Festival für Experimental/Intermedia, Klangexperimente, Elektronische Musik des Instituts International de Musique Electroacoustique (IMEB) de Bourges.)), wo diesmal sogar der 94-jährige Theremin aus Moskau anwesend sein konnte …

Natürlich hatte ich damals [um 1930] Kontakte zu fast allem, was elektrische Musik machte … Vierling, Theremin-Spieler, Trautonium, Hellertion, Neobechstein. Ich habe davon leider keine Tondokumente … Über die Schicksale der damaligen Instrumente ist mir nur sehr wenig bekannt. … Der Komponist Hansom Milde-Meißner ((Hansom Milde-Meißner war Filmkomponist für Spielfilme und Dokumentationen, lebte von 1899 bis 1983 oder 1984.)) schwärmte mit öfter vor, dass er auf einem Neo-Bechstein so schöne Sachen gemacht habe, aber was nach seinem Tode aus dem Instrument geworden ist. weiss ich nicht. Ein altes Instrument von Bruno Helberger ((Bruno Helberger entwarf zusammen mit Peter Lertes das Instrument Hellertion.)) ist auch wieder irgendwo aufgetaucht … Ich habe übrigens in Bourges auch … Interpreten von Martenot ((Die Ondes Martenot entworfen von Maurice Martenot.)) kennen gelernt. … Das Instrument hat sich zu meinem Erstaunen seit den frühen Tagen kaum verändert, ist aber meiner Meinung nach immer noch das Einzige, das mit dem Trautonium zusammen eine E-Musik-Vergangenheit vorweisen kann.

Mr. Moog hat sich übrigens sogleich eine Kopie meiner neuesten Live-Komposition für das neue MTR [Mixturtrautonium] mitgenommen. Als ich ihn frug, ob er das in den USA bekannt machen wollte sagte er mir: Oh no, that’s not nessecary. You are well known in USA.

Natürlich freue ich mich, wenn Sie mich in meinem Studio besuchen wollen. …«

Ausgerüstet mit etlichen leeren Tonbändern und einer Nagra 4 – das damalige non plus ultra der Interviewaufzeichnungstechnik und schwerer als mein sonstiges Gepäck – ging es über Hannover mit dem Interzonenzug nach Berlin; dass dies die letzte dieser Art von Fahrten war, daran war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken. Von einem Gesprächskonzert, das am 30. August auf dem Gelände der Funkausstellung veranstaltet wurde, überliess mir der SFB freundlicherweise einen Mitschnitt. Sala präsentierte sich als ein junger, lebendiger, fast 80-jähriger Künstler, der mit seinem neuen Instrument wieder auf Konzertreisen gehen will.

Das gut zweistündige Gespräch vom 1. September in Oskar Salas Studio, ist in den nachfolgenden Artikeln zusammengefasst, wobei – auf wenige Ausnahmen abgesehen – der originale Tonfall zu erhalten versucht wurde.

Salas Studio in der Heerstraße versteckte sich in einem Bungalow, ein Raum war mit zwei Filmschneidetischen ausgestattet, in einem anderen Raum standen das alte und das neue Mixturtrautonium. Filmrollen und Tonbänder stapelten sich in und ausserhalb von Regalen bis an die Decke: das selbst archivierte Lebenswerk des einzigen Trautonium-Spielers und mittendrin das Mixturtrautonium.

Der Anblick des Mixturtrautoniums ist etwas ungewöhnlich, man sieht zwar kleine Tasten, aber das sind keine Klaviertasten, das sind nur einzelne Hilfstasten, die über einer Saite, einer richtigen drahtumsponnenen Darmsaite angebracht sind. Gespielt wird in der Klavierhaltung, aber durch die Saite kann man Vibrato und Glissandi erzeugen, das ist wie beim Violinspieler. Unter der Saite ist eine ungefähr drei Zentimeter breite Metallschiene. Sie ist das tragende Element des Manuals, zwischen Metallschiene und Saite entsteht ein Kontakt wenn ich spiele, und da setzt eine elektrische Schwingung ein. Sobald ich das Manual durchdrücke, ist da ein sehr druckempfindlicher Widerstand, der den Tonansatz bestimmt. Das Besondere ist eben, dass der Ton ganz lebendig, wie auf einem Saiteninstrument mit dem Finger hergestellt wird. Es ist eben nicht wie beim Tasteninstrument, dass die Töne festliegen und fest gegriffen werden. Weil man man auf einer solchen langen Saite – sie ca. einen Meter lang – für den Spieler Anhaltspunkte haben muss, sind hier von mir sogenannte Hilfstasten als Anhaltspunkte angebracht, jede Tonart hat so eine charakteristische Lage zwischen Saite und diesen Hilfstasten.