Hindemith und das Trautonium

(Oskar Sala, Gespräch vom 1. September 1989)

Was hat denn Hindemith nun speziell an diesem Trautonium interessiert:

Ich möchte sagen, es kann ihn in erster Linie die Spielweise interessiert haben, denn die Klangmöglichkeit, die kam ja erst, nachdem wir nun die Konstruktion angefangen hatten und weitergeführt haben. Die Klangfarben waren am Anfang noch gar nicht da. In meiner eigenen Gegenwart hatte er ja dann die glänzende Idee mit dem Transformator und dem Kondensator gehabt und gesagt, das schalten wir mal zusammen und dann waren wir beide die ersten Erstaunten, wie ich da drehte und »a«, »o«, »u«, diese Formaten herauskamen. Das war aber erst, nachdem bereits beschlossen war, wir machen das und Hindemith dafür komponierte. Also davon kann er nicht angeregt worden sein, sondern er hat sich meiner Meinung nach das nur vorgestellt, in der Phantasie, dass da noch irgendwas kommen müsste.

Also diese gleitenden Klangfarbenwechsel…

In seinen Stücken haben wir das ja drin, da steht »scharf«, »dumpf«, wir konnten direkt wechseln, hatten da einen bestimmten Knopf. Und in seinem Concertino, da hat er die Formanten ((Formanten sind charakteristische Frequenzbereiche, in denen eine besondere Verstärkung von Obertönen durch Resonanz stattfindet. Durch diese Formanten lassen sich z.B. die Klangfarbe von Stimmen und Instrumente voneinander unterscheiden.)) mit eingebaut. Aber davon konnte er ursprünglich nicht ausgehen, das war erst später realisiert, das gab es noch gar nicht als wir anfingen. Das war im Gegenteil die große Frage, die immer wieder gestellt wurde, damals, »na, was wird denn mit den Klangfarben«. Bisher hatten wir immer diese Sägezahnschwingung, ein bisschen abgedämpft, ein bisschen dunkel und hell, aber die Klangfarbe… Da druckste Trautwein immer rum, bis er auf die Idee kam: heute bring ich mal etwas mit…

Ich glaube, dass Hindemith ganz von selbst auf uns aufmerksam wurde, weil er merkte, da kann man ja spielen, und dann kam auch noch so ein junger Spund wie ich daher, und das hat Trautwein ja dann erfasst. Dann kam dann noch die geniale Idee mit der Kippschwingung, und als dann noch der Formant dazukam, dann war natürlich die Überlegenheit gegenüber den anderen elektrischen Instrumenten da. Und das hat Hindemith gereizt, davon bin ich überzeugt.

Ich hatte versucht zu spielen, da fragte Hindemith, wie denn das jetzt sei und setzte sich auch mal ran, spielte was und meinte, das kann man ganz ordentlich spielen könne. Und er hatte sofort einen Plan, drei Instrumente zu bauen, vier Monate Zeit wären wohl ausreichen, und ich werde etwas dafür komponieren. Schlussendlich hatten wir drei Instrumente und waren zu dritt beteiligt: Hindemith spielte die Oberstimme, ich hatte den mittleren Part und Professor Rudolf Schmidt ((Rudolf Schmidt, 1897-1962, Klavierprofessor an der Berliner Musikhochschule.)) spielte den Bass. Bei den Musikfesten kam ja damals alles was Rang und Namen hatte zusammen. Die anderen Herren – besonders Strawinsky und Schönberg – waren überrascht, sie waren alle da bei uns. Schönberg hatte gleich ein Notenpapier mit einer viergestrichenen Note oben und dann nahm er eine ganz tiefe unten, und dann fragte er, »können sie das gleich spielen«, und da sagte ich, »Herr Professor, spielen kann man das, aber jetzt so unmittelbar mit diesem einfachen Instrument, im Moment kann ich ihnen das so noch nicht vorspielen«. Wobei er allerdings mich sofort darauf brachte, dass dies in ein paar Wochen auch sein musste. Ich wusste, dass ich etwas einrichten musste, das ich da was umstellen konnte. Da habe ich dann das Instrument verändert, plötzlich hatte ich dann dreimal drei Oktavbereiche an meinem Instrument, und wie Hindemith das sah, mache er sofort ein Stück für mich, im Tonumfang von unten bis oben.

Ich habe mich auch sehr viel mit dem Spiel beschäftigt und wie er das nächste Mal kam und ich ihm ein hübsches kleines Sätzchen vorgespielt habe, bemerkte er, »also, wenn Sie das machen, dann machen wir das alle auch, und ich komponiere ein paar Sachen und auch etwas kompliziertes«. Das eine Stück (Nr. 6) war damals ein großes Risiko, wir hatten ja hinten an der Saite nur einen schmalen Streifen liegen, wo Hindemith c, e, g, usw. draufgeschrieben hatte… das war riskant mit den schnellen Tonfolgen.

Wie funktionierten denn die Klangwechsel bei den anderen elektronischen Klangerzeugern, die neben dem Trautonium existierten? Die große Erfindung bei der elektrischen Klangerzeugung waren ja gerade Klangfarbenwechsel; ein Instrument sollte nicht nur eine, sondern mehrere Klangfarben erzeugen können…

Na ja, aber bei welchem Instrument ging das damals …

… genau das habe ich mich immer gefragt, ob das damals überhaupt schon möglich war.

Nein! Das war z.B. bei Theremin sowieso nicht möglich. Die hatten ihre Sinusschwingung, die durch den Lautsprecher etwas verformt wird – ein bisschen Sand rein ins Getriebe – das klang da so ein wenig sandig, klang auch sehr hübsch, aber Theremin hatte keinerlei verschiedene Klangfarbe. Auch bei Helberger war nicht viel von Klangfarben zu merken, ich habe jedenfalls nie unterschiedliche gehört.

Also die ganze Formantgeschichte war damals so neu, dass nicht einmal der große Geheimrat Stumpf ((Carl Stumpf, 1848-1936, war der Begründer der funktionalen Psychologie und gehört durch seine musik- und tonpsychologischen Forschungen zu den Begründern der vergleichenden Musikwissenschaft. Sein Hauptwerk, die Tonpsychologie erschien in zwei Bänden von 1883 bis 1890. 1900 gründete er das Berliner Phonogrammarchiv, dessen Forschungsansatz im Bereich der Musikethnologie lag. 1926 definierte er den Begriff Formant.)) etwas davon wusste; wie der uns besuchte, war er völlig erschlagen. Seine Versuche mit den Stimmgabeln waren bekannt, aber etwas anderes war nicht bekannt. Martenot hat auch nur seine spezifische Klangfarbe – heute noch – aber auch nur durch die Lautsprecherfunktion mit den Resonanzsaiten, das macht sehr hübsche Effekte – bloß wenn es rein elektronisch werden soll, dann ist er natürlich an seinen mechanischen Effekten abhängig; ansonsten wird eine Sinusschwingung erzeugt.

Selbst wenn man auf Herrn Stockhausen ((Karlheinz Stockhausen, 1928-2007, war einer der führenden Vertreter der Elektronischen Musik der 1950er Jahre.)) sieht, als die Sinusschwingung plötzlich wieder groß herauskam, wenn auch zusammengesetzt zu komplexen Schwingungen, war das, was wir machten das ganze Gegenteil der Sinusschwingung, war also selbst bis in unsere Zeit, bis dann die Synthesizer kamen unausführbar. Wir konnten ja bei einem elektrischen Spielinstrument nichts anderes machen, wir mussten diese Methode wählen, eine andere war nicht ausführbar; die ist ausführbar, wenn man wie es Herr Stockhausen macht die einzelnen Sinusschwingungen zusammensetzt, aber das ging nicht für ein Instrument, auf dem man spielt. Da konnte es gar nicht gehen. Ich meine, der Witz ist ja der, eine Klangfarbe ist ja keine Farbe, die muss ja konstant bleiben, wenn die Obertöne von Ton zu Ton wechseln. Und die müssen ja wechseln, wenn der Formant hier liegt, dann ist der Oberton hier, hier ist ein anderer Oberton, hier ist noch ein anderer … mit Obertönen ist das natürlich ausgeschlossen. Nur mit Computern geht das heute alles.

Formantfrequenzen und Grundfrequenzen sind beim Trautonium völlig unabhängig, die können eingestellt werden, wie sie wollen. Dabei übersieht man oft, dass es natürlich auf eine periodische Schwingung ankommt, und die periodische Schwingung ist ja immer gegeben, auch wenn der Formant sonst wo liegt. Der ändert sich ja wie so eine Ziehharmonika. Entweder ist er solang drin oder so lang drin in der Periode oder nur einmal, dann wird es beinahe eine Sinusschwingung und die ist immer streng periodisch.

Die Rechteckschwingung wird hier erst genommen, davon werden dann die Frequenzteiler gemacht, dann nehmen sie das Ergebnis und verwandeln es hier elektronisch in eine Sägezahnschwingung; mit der wird dann gespielt, die geht auf die Klangfarben. Da kommt ja weiter nichts raus als ein Schwingungszustand, der streng periodisch ist. Die eine Frequenz ändert sich ganz unabhängig von dem was sie spielen. Gerade die Unabhängigkeit der beiden Schwingungen, das ist ja der Witz.